Schwerpunkt Corona

Remote Arbeiten

Arbeiten aus der Distanz

Lernen von einem Astronauten

Viele unserer Mitarbeiter sind aufgrund der Corona-Maßnahmen im Homeoffice, Kontakte zu anderen sind stark reduziert. Dagegen sind Astronauten Profis im Arbeiten aus der Distanz und beim Leben in Isolation. Der deutsche Astronaut Thomas Reiter gibt seine Erfahrungen aus dem All an uns weiter.

Außendienst: Auf der ISS erlebte Thomas Reiter 2006 das Arbeiten aus der Distanz in Extremform

Foto: NASA


Herr Reiter, Sie waren jeweils rund 170 Tage auf den Raumstationen Mir und ISS. Solch beengte Verhältnisse können Stress hervorrufen. Wie geht ein Astronaut auf einer Raumstation damit um?

Astronauten werden zwei Jahre darauf vorbereitet, in einer besonderen Umgebung zu leben und zu arbeiten, aber es gibt Parallelen zur heutigen Corona-Situation. Bei einem gut durchgetakteten Arbeitstag mit interessanten Aufgaben fällt Ihnen gar nicht auf, dass Sie in der beengten Umgebung einer Raumstation sind. Hilfreich ist auch, nicht dauernd „aufeinanderzuhängen“, sondern sich gelegentlich in ein Modul der Raumstation zurückzuziehen. Dann trifft man sich mal nur zum Frühstück, Mittagessen oder Abendessen und fragt sich gegenseitig: „Mensch, was hast du denn heute gemacht?“ Wichtig ist, nicht in den Tag hineinzuleben; er wird sonst schnell zu einem Einerlei. Auf einer Raumstation halten wir unsere Routinen strikt ein. Sie helfen, die beengten Verhältnisse gut zu ertragen. Dazu gehört zum Beispiel, das Wochenende am Freitagabend mit einem besonderen Abendessen einzuläuten. Etwas ganz Besonderes können im Weltraum frische Tomaten, Gurken oder Zwiebeln sein, die das Versorgungsraumschiff in nur ganz geringen Mengen bringt.

Thomas Reiter: Strukturierte Tage und Teamspirit erleichtern die Arbeit aus der Distanz

Remote arbeiten verlangt gute Organisation. Wie strukturiert ein Astronaut seinen Tag?

Nach dem Aufstehen um 7 Uhr nach Greenwich Mean Time und dem Frühstück folgt das Briefing mit der Bodenstation in Moskau oder Houston. Dann geht die Arbeit los, unterbrochen von Mittagessen und Sport, und nach dem Abendessen gibt es ein Debriefing. Zwischendurch kann es immer mal sein, dass Bordsysteme kontrolliert werden müssen. Am Wochenende muss auch im Weltall der Haushalt gemacht werden: Filter reinigen, Oberflächen desinfizieren. Aber man hat auch etwas Freizeit: um den wunderschönen Ausblick zu genießen, Videos und Fotos zu machen und sich mit der Familie zum Videochat zu treffen.

Worauf kommt es an, dass über die Distanz das Arbeiten im Team funktioniert?

Mit fast allen Wissenschaftlern und Technikern haben wir Astronauten persönlich während der Vorbereitungen zu tun. Das ist ein ganz wichtiger Punkt: Astronauten und die Kollegen am Boden verstehen sich als ein Team und kennen sich gut. Über den fachlichen Austausch hinaus muss unbedingt auch Zeit für ein paar persönliche Worte sein. Das ist beim Remote-Arbeiten über elektronische Kanäle noch viel wichtiger als bei der Arbeit in einem normalen Büro, wo man automatisch beim Kaffee oder in der Kantine über Privates spricht. Diese Erfahrung haben wir alle auf der Raumstation gemacht und sie darf nicht unterschätzt werden.

Wenig Bewegung, wochenlanges Arbeiten im Homeoffice – bei einigen führt das zum „Corona-Bauch“. Wie hält sich ein Astronaut körperlich fit in beengter Umgebung, noch dazu in Schwerelosigkeit?

Sport gehört zum täglichen Dienstplan, erfordert aber auch Disziplin. In der Schwerelosigkeit geht die Fitness viel schneller verloren als auf der Erde. Schon nach zwei Tagen ohne Sport werden die Beine beim Lauftraining schwer wie Blei. Für Sport sind zweieinhalb Stunden brutto eingeplant, also inklusive Aufbau der Sportgeräte und Körperpflege danach. Netto bleiben anderthalb Stunden für Kraftsport, Ausdauersport auf Fahrradergometer oder Laufband, auf dem man mit Gurten festgehalten wird.

Arbeitsplatz im All: Thomas Reiters Büro in einem Servicemodul der Internationalen Raumstation (ISS)

Foto: NASA

Wie vermeiden Astronauten einen Lagerkoller und Streit in einer beengten Umgebung?

Eine Crew ist die Synergie ihrer Mitglieder. Es ist keine Einzelleistung, die auf einer Raumstation erbracht wird. Nach vier Monaten hat jeder auch mal einen Durchhänger, so schön der Anblick der Erde von oben oder so angenehm die Schwerelosigkeit auch ist. Wenn die Crew merkt, dass ein Mitglied einen Durchhänger hat, kümmern sich die anderen Mitglieder sofort darum und bauen es mental wieder auf. Denn man weiß, man ist aufeinander angewiesen. Es hat daher an Bord nie wirklich gekriselt.

Letzte Frage: KWS züchtet Pflanzen und bietet Landwirten satellitenbasierte Tools, um den optimalen Erntezeitpunkt von Mais zu bestimmen, die Aussaatstärke zu optimieren und Zuckerrübenfelder zu beobachten. Wo kann die Raumfahrt die Entwicklung einer nachhaltigen Landwirtschaft noch unterstützen?

Da gibt es sehr spannende Entwicklungen, und wir stehen erst am Anfang! Die Möglichkeiten sind noch gar nicht ausgeschöpft. Ob es die auf den Quadratmeter genau abgestimmte Düngung ist oder die Beobachtung der Wasserversorgung: Die Sentinel-Satelliten des europäischen Copernicus-Programms sind mit verschiedenen Sensoren ausgestattet und liefern unzählige Daten. Viele Start-ups kommen mit tollen Ideen und Diensten für die Landwirtschaft auf uns zu. Und an Bord der ISS laufen mit dem Modul EMCS Versuche zur Züchtung von Pflanzen, die mit Trockenstress umgehen können. |


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