Dreißig Jahre Zuchtstation

Wiedervereinigung à la Klein Wanzleben

Nach dem Mauerfall: KWS kehrt an ihren Ursprungsstandort zurück und investiert in den Aufbau einer leistungsfähigen Zuchtstation.

Mit der Grenzöffnung am 9. November 1989 fielen auch die Barrieren zwischen KWS und dem Institut für Rübenforschung (IfR). Die Verantwortlichen auf beiden Seiten, die sich aus Kooperationen bereits kannten, traten schnell in einen regen Austausch: Wie könnte die zukünftige Zusammenarbeit aussehen? Die hierzu gebildeten Arbeitsgruppen prüften zunächst die Möglichkeiten einer intensiveren Zusammenarbeit in den Bereichen Züchtung, Saatgutproduktion/-aufbereitung, Biotechnologie und Organisation/Recht.

Für 1990 wurden bereits Probekreuzungen aus dem Material beider Institutionen vereinbart, außerdem eine Zusammenarbeit in der biotechnologischen Forschung und in der Entwicklung des osteuropäischen Marktes.

Schon früh hatte der KWS Vorstand sein Interesse bekundet, den Standort Klein Wanzleben finanziell zu unterstützen und möglichst zu erhalten. Fraglich war in diesen Umbruchzeiten allerdings, wie das rechtlich und organisatorisch funktionieren sollte, da das Institut für Rübenforschung mit seinem mobilen und immobilen Gut zum Volkseigentum der DDR gehörte.

In intensiven Abstimmungstreffen in den einzelnen Arbeitsgruppen wurde schließlich eine erfolgversprechende Strategie entwickelt, die dann auch umgesetzt wurde. Mit einer Übernahmezusage der KWS im Rücken gründete sich am 28. September 1990 in Bernburg die Rübenzucht GmbH. Alleiniger Gesellschafter mit 20.000 D-Mark Kapitaleinlage war die Akademie der Landwirtschaften (AdL) und ab 3. Oktober 1990 laut Einigungsvertrag das Land Sachsen-Anhalt. Die Geschäfte führte Wolfgang Joachim. Die GmbH übernahm vom Institut fünfzig Mitarbeiter, den in Rechtsträgerschaft des IfR befindlichen volkseigenen Grund und Boden, Immobilien und Inventar am Standort Klein Wanzleben, das Zuchtmaterial und die Sortenschutzrechte. Unmittelbar nach der GmbH-Gründung begannen die Verkaufsverhandlungen zwischen der AdL und KWS, so dass der notarielle Kaufvertrag am 21. Januar 1991 in Magdeburg geschlossen werden konnte.

Kuriosum

West-östliches Missverständnis

Zu einem Treffen der Arbeitsgruppe „Organisation“ fuhren Wolfgang Joachim, Klaus Berndt und Hans-Joachim Diedrich Anfang 1990 aus Klein Wanzleben nach Einbeck. Bei ihrer Ankunft in Einbeck stellten sie sich den Einbecker Kollegen vor: „Joachim, Berndt, Diedrich.“ Großer Schreck bei den Einbecker Partnern. „Die aus dem Osten stellen sich alle mit dem Vornamen vor!“ |

Damit war der Weg frei für den Aufbau der ZKW Züchtungsgesellschaft Klein Wanzleben, einer hundertprozentigen Tochter der KWS. Nach 47 Jahren war das Unternehmen zu seinen Wurzeln zurückgekehrt. Als Carl-Ernst Büchting, damals Vorsitzender des KWS Aufsichtsrats, seinen Geburtsort am 16. August 1991 erstmals nach der Wende besuchte, erinnerte er in einer emotionalen Rede daran, dass die Zuckerfabrik Kleinwanzleben, ZKW abgekürzt, bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges weltweit bekannt war.

Zwischen 1991 und 1993 wurde das in Klein Wanzleben vorhandene Material zur Zuckerrübenzüchtung evaluiert. Einem Vergleich mit dem KWS Genpool hielt es besonders in der Saftqualität nicht stand. Eine direkte züchterische Weiterbearbeitung als gesondertes Programm wurde deshalb ab 1994 eingestellt. Ein Teil der Genquellen wurde in das Langzeitlager übernommen.

Nach der Evaluierung wurde ein eigenes Aufgabenprofil für die ZKW Züchtungsgesellschaft entwickelt und fünfzig Mitarbeiter wurden dafür fest eingestellt. Hauptaufgaben der Station in den folgenden Jahren waren: Leistungsprüfungen Zuckerrüben in Klein Wanzleben und Friemar (Thüringen), Erzeugung von Zuckerrübenbasissaatgut im Freiland und in Folienzelten, Anzucht von Stecklingen, Beobachtungsanbau im Freiland, Feldaufgangsprüfungen von Zuckerrübensaatgut sowie Annuellentests im Gewächshaus.

Bei seinem ersten Besuch in Klein Wanzleben im August 1991 erinnerte Carl-Ernst Büchting daran, was seine Familie und KWS mit dem Ort verbindet. 1995 ernannte ihn Klein Wanzleben zum Ehrenbürger

Das historische Titelblatt einer KWSintern von 1991 zeigt einen symbolischen Akt: Am 11.5.1990 pflanzten (von links) Wolfgang Joachim, Andreas Bucks, Andreas J. Büchting, Franz Josef Seitzer, Gottfried Senff, Hermann Drosihn, Johannes Oehme, Siegfried Kotter, Peter Lange, Alfons Schwarz und Christopher Ahrens zur Bekräftigung der zukünftigen Zusammenarbeit eine Eiche aus der In-vitro-Kultur der KWS am Mutterrübenlagerhaus in Klein Wanzleben. Signalwirkung hatte 1990 auch die Zulassung der KWS/IfR Gemeinschaftssorte „FANAL“.

Die Analyse von Rübenbreiproben im 1991 neu gebauten Laborgebäude war eine weitere wichtige Aufgabe für die Station. Nach der Schließung des Rübenlabors in Einbeck 2003 wurde die gesamte Rübenbreianalytik in Klein Wanzleben zentralisiert. Im Langfristkonzept war für die Station auch die Aufbereitung und Lagerung von Basissaatgut und Probeoriginalen festgelegt.

Neben der Zuckerrübe wurde bis 2005 das KWS Fütterrübenprogramm in Klein Wanzleben bearbeitet. Seit 1991 haben ZKW Mitarbeiter sehr erfolgreich einen Landwirtschaftsbetrieb aufgebaut und bewirtschaftet. Die zu bewirtschaftende Fläche wuchs mit der Pacht der Landesdomäne Dreileben von anfänglich circa 602 Hektar auf 1600 Hektar nach 1996. Ziel war und ist es, einen landwirtschaftlichen Großbetrieb mit den Sorten und dem Know-how von KWS erfolgreich zu führen – für eine praxisnahe Kundenakquise.

„Alles ist anders als früher – und nichts wird sein wie früher (…) Lassen Sie uns gemeinsam versuchen, unsere deutsche Geschichte, die in den letzten 150 Jahren leider nicht glücklich verlaufen ist, in der Zukunft besser zu machen.“

Carl-Ernst Büchting, 16. August 1991 in Klein Wanzleben

Überlebenswichtig waren die Investitionen, die KWS in den letzten dreißig Jahren in Klein Wanzleben getätigt hat. Die von KWS 1991 in Klein Wanzleben gekauften Maschinen und Gebäude waren vielfach marode. Nur durch einen außerordentlich hohen Finanzaufwand konnten die Gebäude erhalten und damit für Forschungs- und Züchtungsaufgaben nutzbar gemacht werden. Insgesamt investierte KWS von 1991 bis 2018 über 20 Millionen Euro, davon allein 10,7 Millionen Euro in die Sanierung von Grundstück und Gebäuden.

2007 fiel eine weitere bedeutsame Entscheidung für die Station in Klein Wanzleben: die Fusion mit der Anhaltinischen Pflanzenzucht GmbH in Bernburg. Diese Station wurde wie auch die ZKW Klein Wanzleben 1990 als APZ (Anhaltische Pflanzenzucht GmbH Bernburg) gegründet. Mit der APZ hatte KWS die Maiszüchtung des Institutes für Getreideforschung Bernburg-Hadmersleben gekauft. Auch hier wurde seit 1990 viel umstrukturiert:

  • Umorientierung von Züchtungskooperationen zur Betreuung des kompletten eigenständigen Zuchtprogramms Nord-West-Europa als Serviceeinheit,
  • wesentliche Verbesserungen im Mechanisierungsgrad und in der Technologie von der Aussaat bis zur Ernte und Aufarbeitung,
  • Wandlung von standortfester zu mobiler Betreuung an vielen Standorten, insbesondere bei Leistungsprüfungen,
  • konsequente Nutzung von Wintergenerationen über das KWS Netzwerk,
  • Übergang zur Linienentwicklung mittels DH-Technik,
  • deutlicher züchterischer Ertragsfortschritt,
  • beträchtliche Steigerung des gesamten Arbeitsumfanges und des Budgets.

Mit der Fusion der beiden Gesellschaften APZ und ZKW zur Zuchtstation Klein Wanzleben 2007 war die Grundlage für eine konkurrenzfähige Weiterführung der Zuchtarbeiten gelegt. Durch umfangreiche Investitionen und die Nutzung von Gebäudeflächen konnte die Maiszüchtung modernisiert und erweitert werden. Optimierte Technologieprozesse und Synergieeffekte bei Personal und Technik ermöglichten die Übernahme des Energiesorghum-Programmes ab 2008 und des neuen Zuchtprogrammes „Mais Nord-Osteuropa“ ab 2011. Damit verbunden waren eine weitere Ausdehnung der Zuchtflächen und ein neuerlicher Mitarbeiterzuwachs. Heute arbeiten in Klein Wanzleben insgesamt 65 KWSler. Dies alles hat die Leistungsfähigkeit der Station wesentlich gesteigert und wird auch in Zukunft zur wachsenden Attraktivität des Standortes Klein Wanzleben beitragen. |

Seit 1990

Bauinvestitionen in Klein Wanzleben

(ohne Landwirtschaft)

1991 – 1996 Abriss alter, nicht nutzbarer Gebäude (Heizhaus, Gewächshäuser, Nematodenstation, Physiologie, Bürogebäude Methodik)
1991 Bau eines neuen Rübenlabors
1992 Sanierung des Verwaltungsgebäudes (Haus Biologie)
1992/93 Straßenbau und Medienversorgung
1993 – 1995 Sanierung der Saatgutaufbereitung und Neuausstattung mit Reinigungsmaschinen
1994/95 Neubau von Sozialräumen im Laborgebäude
1991 – 2005 Neueindeckung aller Gebäude und Entsorgung der Asbestdächer
1991 – 2007 Isolierung, Verkleidung bzw. Neuanstrich aller Gebäude
1995/96 Neubau eines klimatisierten Saatgutlagers (1.000 m²)für Zuckerrübenbasissaatgut
1996 – 2019 Bau von 34 Folienzelten und Sanierung der Gewächshausanlage (zusammen 11.100 m²)
2006/07 Einrichtung eines Maislabors und Bau einer neuen Maistrocknung
2015/2019 Bau von zwei klimatisierten Lagerhäusern für Zuckerrübenbasissaatgut (2000m²)

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