Teilung
Geblieben und gelitten
Gebrochene Biografien unter russischer Besatzung. Mitarbeiter in Klein Wanzleben erlebten nach 1945 staatliche Repressalien und willkürliche Strafgerichte.
In Klein Wanzleben gaben sich gegen Ende des Zweiten Weltkrieges die alliierten Siegermächte die Klinke in die Hand. Das Gebiet um Magdeburg hatte knapp einen Monat vor Deutschlands Kapitulation zunächst von Westen kommend die neunte US-Armee besetzt, während die Rote Armee im Mai den Ostteil der Stadt besetzte. Als Anfang Juni 1945 britische Truppen die Amerikaner ersetzten, stand schon fest, dass auch sie nicht lange bleiben würden. Denn die Alliierten hatten bereits im Februar bei der Konferenz von Jalta zur Aufteilung Deutschlands beschlossen, dass dieses Gebiet ab Juli 1945 zur sowjetischen Besatzungszone gehören sollte.
Da die Engländer den Wert des Klein Wanzlebener Saatguts und des züchterischen Know-hows sehr genau kannten, organisierten sie vor ihrem Abzug eilig den Abtransport der Hälfte des gelagerten Hochzucht- und Elite-Zuckerrübensaatguts. Außerdem transferierten sie die Eigentümerfamilien Rabbethge und Büchting sowie weitere Biologen und Züchter mit ihren Familien in einer Nacht- und Nebelaktion in ihren Einflussbereich auf die Domäne Rotenkirchen bei Einbeck.
Beim Abschied in Klein Wanzleben hatten die ziehenden und bleibenden Mitarbeiter auf eine kurze Trennung gehofft. Doch es kam anders – mit teilweise tragischen Folgen für einige der in Klein Wanzleben Zurückgebliebenen. Nach der Besetzung durch die sowjetische Armee wurde das Klein Wanzlebener Saatgutunternehmen auf Befehl der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) sofort enteignet und zerteilt.
Ein besonders dunkles Kapitel aus der ersten Zeit unter russischer Besatzung waren die willkürlichen Strafgerichte gegen einstmals leitende, häufig als Faschisten angeklagte ehemalige Mitarbeiter des Unternehmens, die den Betrieb ab Juli 1945 aufrechterhalten hatten. Ihre Schicksale und Namen sind heute weitgehend vergessen. Der dreißigste Jahrestag des Mauerfalls ist ein willkommener Anlass, sich zumindest an einige zu erinnern. Gleichzeitig bedeutet er auch eine Dankespflicht.
Staatliche Willkürakte
Der Leiter der Keimstation und verdienstvolle Versuchsfeldtechniker Friedrich Vellgut kam im Spätsommer 1945 von einer Feldinspektion nicht zurück und blieb spurlos verschwunden. Später kam ans Licht, dass er verhaftet worden war. Nach zweimonatiger Haft starb er im Zuchthaus Brandenburg.
Friedrich Voigt war als Hauptbuchhalter der Firma für alle finanziellen Belange der Rabbethge & Giesecke AG verantwortlich. Er wurde 1945 festgenommen und starb nach dreijähriger Haft im Zuchthaus Bautzen.
Zwei leitende Angestellte, die sich große Verdienste um das Unternehmen erworben hatten, erlitten unter der sozialistischen Staatsführung nach 1945 ebenfalls ein trauriges Schicksal.
„Wie lange es auch dauern mag, ich halte durch und hoffe auf Frieden und Freiheit.“
Der Direktor der Zuckerfabrik, Friedbert Brukner (1899–1953), einer der fähigsten Köpfe der deutschen Zuckerindustrie, wie es in seinem Nachruf heißt, hatte die Kleinwanzlebener Zuckerfabrik zu einer der erfolgreichsten in Deutschland entwickelt. Friedbert Brukner wurde gemeinsam mit Friedrich Voigt wegen verbrecherischer Verletzungen gegen SMAD-Befehle entlassen und sofort verhaftet. Vom Gefängnis Torgau kam er zunächst in das Zuchthaus Sachsenhausen und von dort in das berüchtigte Lager Waldheim. Dort erlag er nach sieben Jahren unverdienten Leidens den katastrophalen Haftbedingungen.
Tragisch verlief auch die Inhaftierung des langjährigen Laborleiters Gerhard Lindner. Er hatte über viele Jahre gemeinsam mit dem Institut für Zuckerindustrie in Berlin international beachtete Versuche zur Verbesserung der technologischen Qualität von Zuckerrüben geleitet. 1945 wurde er in Klein Wanzleben verhaftet und in das Gefängnis Magdeburg gebracht. Nachdem er sich dort mit Knochentuberkulose infiziert hatte, wurde er entlassen und erlag wenig später in Klein Wanzleben seiner Krankheit.
Im KWS Archiv erhaltene Briefe hinterbliebener Ehefrauen spiegeln, wie tief diese Willkürmaßnahmen die Angehörigen der Opfer getroffen haben. Die DDR-Geschichtsschreibung hat diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit verschwiegen. KWS hat die beiden Witwen von Einbeck aus finanziell unterstützt, wie aus den Briefen hervorgeht.
Gelungene Flucht
Das Schicksal von Fritz Otto Brandt, der nach dem Krieg die Zuckerrübenzüchtung in Klein Wanzleben vor dem Zusammenbruch gerettet hatte, nahm einen anderen Lauf. Auch er wurde verhaftet und angeklagt. Das Verfahren gegen ihn, das seine Kläger als Schauprozess inszenieren wollten, geriet zur Farce. Der große Laborsaal in Klein Wanzleben wurde ausgeräumt, 400 „Werktätige“ wurden zur Verhandlung eingeladen. Während das lange Plädoyer verlesen wurde, ertönten fortwährend laute Buhrufe aus dem Plenum, so dass der zuständige Richter zweimal damit drohte, sofort den Saal räumen zu lassen. Fritz Otto Brandt nützten die Sympathiebekundungen leider wenig – er wurde zu sieben Jahren Haft verurteilt.
Dabei hatte man allerdings nicht bedacht, dass Fritz Otto Brandt für die Zuckerrübenzüchtung im Osten unentbehrlich war. Sehr schnell offenbarten sich auf diesem Gebiet dann auch erhebliche Defizite. Angesichts der prekären Lage forderten einige Mitglieder des Präsidiums der Deutschen Akademie der Landwirtschaftswissenschaften die Revision des Urteils gegen Fritz Otto Brandt. Nach dieser Intervention wurde er aus dem Gefängnis entlassen und nahm seine Tätigkeit im inzwischen gegründeten Institut für Pflanzenzüchtung wieder auf.
Die KWS in Einbeck hatte vom Schicksal Fritz Otto Brandts erfahren. Carl-Ernst Büchting, damals Vorstandsvorsitzender der KWS, erzählte in einem Gespräch: „Wir haben ihn wissen lassen, dass er uns herzlich willkommen sei.“ Da Fritz Otto Brandt seine erneute Verhaftung fürchtete, packte er seine Koffer und fuhr gemeinsam mit seiner Frau und den beiden Kindern mit dem Zug nach Ost-Berlin und weiter mit der S-Bahn nach West-Berlin. Von dort wurde er schnell ausgeflogen. In Einbeck arbeitete er bis zu seiner Pensionierung erfolgreich in der technischen Entwicklung neuer Sorten. |
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