Forschung

Kooperation

Zuckerrübenzüchtung in der DDR

Den Anschluss verloren

Forschen für die sozialistische Landwirtschaft – die Zuckerrübenzüchtung stand unter politischem Druck. Die Zusammenarbeit mit KWS seit den 1980ern sollte die Sortenentwicklung voranbringen.

Mit der Gründung der „Akademie der Landwirtschaftswissenschaften“ (AdL) wurde 1952 in Klein Wanzleben das „Institut für Pflanzenzüchtung“ eingerichtet und der Akademie angegliedert. Außer dem Klein Wanzlebener Institut, das 1967 in Institut für Rübenforschung (IfR) umbenannt wurde, gehörten drei Forschungszentren und weitere zwanzig Institute mit über 12.000 Mitarbeitern zur AdL.

Zu den wichtigsten Aufgaben des IfR, das nach 1945 mit demselben Zuchtmaterial gestartet war wie KWS in Einbeck, gehörten die Zuckerrübenzüchtung, die Verfahrensforschung und die Grundlagenforschung für die sozialistische Landwirtschaft. Aufgrund der kritischen Situation in der Zuckerrüben- und Zuckerproduktion der DDR erhielt das IfR besondere staatliche Aufmerksamkeit. Die Entwicklung neuer, handarbeitsarmer Verfahren in der Zuckerproduktion hatte angesichts der angespannten Arbeitskräftesituation in der Landwirtschaft höchste politische Priorität. Hier zeigten sich auch bald Erfolge: Professor Hans Röstel, damals für die Züchtung im IfR verantwortlich, gelang es in den 1950er Jahren nach sehr aufwendiger Selektionsarbeit, aus einer halben Million Pflanzen acht einfrüchtige Samenträger zu selektieren. Diese bildeten die Grundlage für die erste monogerme Zuckerrübensorte, die 1963 in Deutschland zugelassen wurde. 1978 kam dann die erste Hybridsorte auf den Markt. Entwickelt wurde diese Sorte namens Ponemo in Kooperation mit Polen, das Bestäuber lieferte. Sie wurde in den folgenden Jahren auf über 500.000 Hektar in Polen und in der DDR angebaut.

Neben den praktischen Züchtungsaktivitäten stand in Klein Wanzleben zunehmend die Grundlagenforschung im Fokus. Um angesichts der wachsenden Bedeutung biotechnologischer Verfahren handlungsfähig zu bleiben, wurde 1974 ein neu gebautes Laborgebäude in Betrieb genommen. Neben Einrichtungen für die Zell- und Gewebekultur wurde auch die ertragsphysiologische Forschung in Klimakammern ausgebaut. Diese Investitionen förderten insbesondere die für die Hybridzüchtung notwendige In-­vitro-Verklonung von Inzuchtlinien und diente der Produktion von haploiden und doppelhaploiden Linien. Der stetig steigende Bedarf an In-vitro-Pflanzen führte dazu, dass ab 1986 ein Biotechnikum mit einer 6.000 Quadratmeter großen Gewächshausanlage für weitere Forschungen zur Verfügung stand. Die phytosanitäre Schädlingsforschung, die sich vor allem mit der Bekämpfung von Nematoden befasste, erhielt ein eigenes Labor. Auch personell wuchs das IfR über die Jahre und Jahrzehnte kontinuierlich. 1989 waren in Züchtung und Züchtungsforschung in Klein Wanzleben über 260 Mitarbeiter beschäftigt. Trotz dieser für DDR-Verhältnisse überdurchschnittlich hohen materiellen und personellen Aufwendungen und Anstrengungen konnte das IfR in der Qualität und Leistung seiner Zuckerrübenzucht und -produktion zu keiner Zeit den Anschluss an die Weltspitze finden. Die Leistungen der eigenen Sorten lagen in den 1980er Jahren durchschnittlich acht bis zehn Prozent unter denen der besten internationalen Sorten. Größtes Problem war die unzureichende Keimfähigkeit des Saatgutes. Die Saatgutproduktion war nur in der DDR möglich und nicht in klimatisch günstigeren Regionen wie zum Beispiel in Frankreich oder Italien.

„KWS betreibt das Geschäft mit der DDR nur, um auf den sowjetischen Markt vorzustoßen.“

Inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit „Siegel“, 16.02.1987

Deshalb hielten die politisch und wirtschaftlich Verantwortlichen spätestens ab Anfang der 1980er Jahre Ausschau nach möglichen Kooperationspartnern und scheuten auch nicht davor zurück, sich illegal Saatgut zu beschaffen (Operation Kristall, S. 10). Diese beiden beschrittenen Wege sind durch umfangreiche Stasiakten dokumentiert, die in Magdeburg im Archiv des Bundesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit lagern.

Die Zusammenarbeit von KWS und IfR seit 1982

Bei der Suche nach geeigneten Geschäftspartnern zahlten sich die historischen Verbindungen zwischen der KWS und Klein Wanzleben aus. Nachdem es ab 1982 erste vorsichtige Kontaktaufnahmen bei Messen gegeben hatte, reiste im Juli 1985 die erste offizielle Besuchergruppe aus Einbeck nach Klein Wanzleben. Dieses Treffen markierte den Auftakt für eine „inoffizielle“ Zusammenarbeit zwischen dem Institut und der KWS, die dann ab 1986 auch über schriftliche Vereinbarungen fixiert wurde. Zu den gemeinsamen Aktivitäten gehörten neben dem Austausch von Saatgut für Leistungsprüfungen und Vermehrung auch in geringem Umfang züchterische Aktivitäten. Ein Protokoll aus den Stasiakten benannte als Ziel des IfR, das vor der Wende nicht mehr realisiert werden konnte, bis 1991 eine gemeinsame Hybridsorte auf den Markt zu bringen und sich die Lizenz für den Verkauf in Drittländer zu teilen.

Regelmäßig trafen sich nun die auf der Arbeitsebene Verantwortlichen abwechselnd „hüben wie drüben“. Allerdings durften bis zur Grenzöffnung 1989 nur drei Mitarbeiter aus Klein Wanzleben, sogenannte Reisekader, nach Einbeck fahren, die alle drei als inoffizielle Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes der DDR angeworben waren. Ihre Erfahrungen sowie ihre wissenschaftlichen und praktischen Erkenntnisse aus diesen Besuchen in Einbeck teilten sie in ausführlichen Berichten mit ihrem Stasi-Führungsoffizier.

Was versprachen sich die beiden Kooperationspartner von dieser Zusammenarbeit? Während KWS vorrangig daran interessiert war, sich über Klein Wanzleben neue Kontakte und Saatgutabsatzmärkte in Osteuropa zu erschließen, wollten die DDR-Züchter vor allem wissenschaftlich-technisches und züchterisches Wissen abschöpfen und sich Zugang zu ertragsreichem Ausgangsmaterial der KWS verschaffen. Nach eigener Einschätzung hoffte die DDR, aus dieser Geschäftsverbindung wesentlich mehr Kapital schlagen zu können als KWS.

Retrospektiv betrachtet erzielten beide Seiten aus der Zusammenarbeit in den 1980er Jahren keinen besonderen wirtschaftlichen Nutzen. Die bereits existierende Vernetzung mit KWS erwies sich dann aber in der Wende- und Nachwendezeit für die weitere Zukunft des Zuckerdorfs Klein Wanzleben als sehr vorteilhaft. |


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