West-Ost
Fehlinvestition in der Saatgutpillierung
Mit welchen Schwierigkeiten ostdeutsche Betriebe nach der Wende zu kämpfen hatten, zeigt beispielhaft diese Geschichte des VEB Saat- und Pflanzgut in Klein Wanzleben.
Die politische Zusammenführung der beiden deutschen Staaten nach dem Mauerfall mit der Wiedervereinigung und der Währungsunion führte – anders als von den damals Verantwortlichen erhofft – zum nahezu vollständigen Zusammenbruch der ostdeutschen Wirtschaft.
Seit den 1970er Jahren waren Versuche zur Pillierung zum Schutz des Saatguts ein Forschungsschwerpunkt am Institut für Zuckerrübenzüchtung (IfR) in Klein Wanzleben. Mit einer eigenen Rezeptur und einem neuen Wirbelschichtverfahren sollte schnellstmöglich pilliertes Saatgut für die gesamte Anbaufläche in der DDR bereitgestellt werden.
Doch das mit hohem personellen und finanziellen Aufwand verfolgte Verfahren erreichte nie die Praxisreife, was zu großen Versorgungsengpässen führte. Besonders angespannt war die Situation 1988/89. Unmittelbar nach der Inbetriebnahme einer neuen Pillierungsanlage im VEB Saat- und Pflanzgut in Klein Wanzleben stellte sich heraus, dass die Keimfähigkeit des Saatgutes durch den Pillierungsprozess um zehn Prozent und mehr vermindert wurde. Keine der sofort eingeleiteten Maßnahmen zur Behebung der Mängel führten zum Erfolg.
Im Dezember 1989 wandte sich der VEB Saat- und Pflanzgut an die KWS in Einbeck mit der Bitte um Lohnpillierung. Die Pillierungskosten für insgesamt 160.000 U beliefen sich auf rund vier Millionen D-Mark. 1 U entspricht ca. 100.000 Pillen – das ist die Menge Saatgut, die heute für einen Hektar Land benötigt wird.
„Mangelnde Wettbewerbsfähigkeit trieb nach der Währungsunion die meisten volkseigenen DDR-Betriebe in den Konkurs.“
KWS lieferte das pillierte Saatgut termingerecht, obwohl es Schwierigkeiten bei der Pillierung in Einbeck gab, denn die aus Klein Wanzleben angelieferte Ausgangsware entsprach nicht den vereinbarten Kriterien. Es gab zu viel bikarpe Knäuel und Verunreinigungen, so dass in Einbeck nachbearbeitet werden musste
Auf dem für viel Geld pillierten Saatgut blieb der VEB in Klein Wanzleben allerdings zum größten Teil sitzen. Denn nach der Grenzöffnung bestellten die meisten Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) ihr Saatgut lieber direkt bei den westdeutschen Züchterhäusern. Für KWS ein gutes Geschäft: Bis April 1990 lieferte das Unternehmen an 193 landwirtschaftliche Betriebe der DDR KWS Zuckerrübensaatgut aus. Die Bezahlung wurde den Landwirten bis zur Währungsunion gestundet, außerdem erhielten sie ein Viertel der gelieferten Saatgutmenge gratis.
Diesen Konditionen hatte der VEB Saat- und Pflanzgut nichts entgegenzusetzen. Nach der Frühjahrsbestellung mit „Westsaatgut“ war auch in Zukunft kein Absatz der Bestände aus der Lohnpillierung zu erwarten. Der Betrieb ging in Konkurs und die Speichergebäude wurden von der Treuhand privatisiert. Der neue Besitzer hatte auch keine Freude an den Saatgutmengen: Am 10. Februar 1992 zerstörte ein durch Brandstiftung entfachter Großbrand die Speichergebäude mit dem pillierten Saatgut. Das nicht verbrannte Saatgut wurde später in unvorbereitete Deponien gebracht und lagert dort noch heute. So zum Beispiel in Blumenberg bei Wanzleben. Die Proteste der Bevölkerung gegen die Einlagerung verhallten ungehört. |
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