Forschung und Entwicklung

Automatisierung

Wie lassen sich Millionen von Proben schneller analysieren? Sebastian Steiner (links) und Patrick Henke finden technische Lösungen für solche Fragen.

Eigenkreationen

Technik fürs Labor

Sebastian Steiner leitet bei KWS ein Team, das technische Lösungen für die Forschung und Entwicklung sowie für die Züchtung entwirft. Die Ingenieure entwickeln zum Beispiel große Maschinen zur Extraktion von DNA ebenso wie kleine Geräte, die den Arbeitsalltag erleichtern.

Manche erinnern sich wohl noch an die Anfangsjahre der Markeranalyse bei KWS: In den 1990er-Jahren reichten Einkanalpipetten aus, um eine Handvoll Proben zu verarbeiten. Die Prozesse haben sich allerdings ständig weiterentwickelt und erfordern heute einen höheren Grad an Automatisierung: Auf Einkanalpipetten folgten Achtkanalpipetten und letztlich Pipettierroboter. Dadurch haben sich die Arbeitsschritte im Labor deutlich beschleunigt.

Besonders wichtig ist die Laborautomatisierung beim Marker Service: „Es geht um eine Größenordnung von mehreren Millionen Proben, die jedes Jahr bei uns eingehen. Inzwischen verdoppelt sich diese Zahl alle fünf Jahre“, sagt Cornelia Glass, Group Lead beim Marker Service.

Molekulare Marker

Die Genotypisierung bezeichnet Methoden, mit denen Unterschiede in der genetischen Zusammensetzung bestimmt werden. Markergestützte Selektion – oder auch Marker Assisted Selection (MAS) – ist ein Verfahren, bei dem gewünschte Pflanzeneigenschaften direkt anhand des genetischen Materials ausgewählt werden. Die Pflanzenzüchtung wird dadurch effektiver.

Genetische oder molekulare Marker sind DNA-Abschnitte, die mit bestimmten Eigenschaften verknüpft sind und deren Ort im Pflanzengenom bekannt ist. Diese Marker können schnell in der DNA kleiner Blatt- oder Saatgutproben analysiert werden. Bestätigt die Analyse, dass die Pflanze den Marker für die gewünschte Eigenschaft trägt, wird sie ausgewählt.

Für die genomische Selektion kann die DNA der Pflanze auf Tausende solcher bekannten Marker hin analysiert werden. Anhand von Computermodellen werden Kombinationen der am besten geeigneten Eigenschaften berechnet, um den Zuchtwert der Keimlinge zu ermitteln. |

Der erste Schritt bei der Markeranalyse besteht darin, die DNA der Pflanze von den Zellbestandteilen zu trennen und für weitere Analysen aufzureinigen. Diese DNA-Extraktion bildet normalerweise den Engpass im Analyseprozess, denn die vorhandenen Kapazitäten wirken sich auf alle nachfolgenden Arbeitsschritte aus. Das Team Technical System Engineering bei High Throughput Services unter Leitung des Molekularbiologen Sebastian Steiner ist darauf spezialisiert, Lösungen für ebensolche Probleme zu finden.

„Die Prozesse in der Genotypisierung sollen dahingehend optimiert werden, dass sie den Durchsatz steigern und gleichzeitig Kosten reduzieren“, erläutert Sebastian Steiner. „Deshalb gehen wir in unseren Konzepten über die Automatisierung einzelner Schritte hinaus.“ Die am Markt erhältlichen Lösungen seien sehr teuer und für die Diagnostik in der Humanmedizin oder für Forschungszwecke ausgelegt. Sebastian Steiners Team verfolgt daher einen industriellen Ansatz der Laborautomatisierung und setzt den Fokus auf Produktionslinien für die Molekularbiologie, die rund um die Uhr in Betrieb sind.

Vorteil eines eigenen Teams: Technische Lösungen können nach Wunsch umgesetzt werden und kosten weniger als von externen Anbietern, sagt Joachim Strauß.

Vorteile eigener Ingenieurinnen und Ingenieure

So setzte das Team verschiedene Anlagen für die automatisierte DNA-­Extraktion, die Bildverarbeitung und die Probenlogistik um und arbeitet derzeit an neuen Anlagen, die zur weiteren Effizienzsteigerung beitragen sollen. „Optimierte Arbeitsabläufe bedeuten, dass die Kosten der einzelnen Analysen für unsere internen Kunden sinken“, führt Steiner weiter aus.

KWS profitiert davon, dass sich ein eigenes Ingenieursteam schwerpunktmäßig der Automatisierung und Prozessverbesserung von Laboren widmet. Das Unternehmen kann dadurch flexibel auf die wechselnden Bedürfnisse verschiedener Gruppen und Züchtungsstationen eingehen. „Unsere größte Herausforderung besteht darin, effizienter zu werden“, bestätigt Cornelia Glass.

„Die Nähe zu unseren Kunden ist wirklich hilfreich.“

Patrick Henke

Weniger abhängig von Externen

„Doch wir brauchen das Team auch, um eigene maßgeschneiderte Lösungen entwickeln zu lassen“, ergänzt Markus Niessen, Senior Group Lead beim Marker Service. Erwähnenswert ist hier die Entwicklung und Herstellung eigener Laborverbrauchsmaterialien. „Besonders nach den Erfahrungen während der Corona-Lockdowns und den dadurch unterbrochenen Lieferketten wollen wir weniger abhängig von externen Lieferanten sein und sind froh, hier eigene Kapazitäten aufgebaut zu haben und unsere Verbrauchsmaterialien lokal selbst zu produzieren.“

„Unsere Gruppe agiert unabhängig und ist gleichzeitig gut vernetzt“, beschreibt Elektroingenieur Patrick ­Henke. Es besteht ein enger Austausch mit internen Kunden wie Marker Service, Cell Service, Molecular Breeding und vielen anderen. Den Anstoß zu einem Projekt gibt stets die Definition einer Verbesserungsmöglichkeit. Anschließend sieht sich das Team vorhandene Lösungen am Markt an. Manchmal gibt es bereits geeignete Optionen, die sich auch gut individuell anpassen lassen. Ist das nicht der Fall, werden alle Anforderungen zusammengetragen, die eine Lösung unbedingt erfüllen muss, ehe der Entwicklungsprozess beginnt. „Die Nähe zu unseren Kunden ist wirklich hilfreich“, betont Patrick Henke. „Wir kennen ihre grundsätzlichen Anforderungen bereits ziemlich gut und können uns während des Entwicklungsprozesses regelmäßig mit ihnen austauschen. So ist gewährleistet, dass unsere Sichtweisen übereinstimmen. Am Ende unterstützen wir dabei, das neue System oder Gerät in Betrieb zu nehmen.“

Drei Entwicklungen des Teams

DNA Cruiser

Der KWS DNA Cruiser ist eine Lösung für einen Engpass bei der DNA-Extraktion. Es handelt sich um einen DNA-Extraktionssystem auf Basis von Magnetpartikeln, der in der Lage ist, Zehntausende von Proben pro Tag in einem fließbandähnlichen Prozess zu verarbeiten. Derartige leistungsstarke Hochdurchsatzverfahren ebnen den Weg für neue molekulare Züchtungsansätze.

ARES1 und ARES2

ARES1 und ARES2 sind zwei voll automatisierte Anlagen für die DNA-Extraktion im Hochdurchsatzverfahren. Diese Lösung kommt der industriellen Automatisierung wesentlich näher und soll die derzeitigen Engpässe zu Stoßzeiten überwinden.

ARGUS

ARGUS ist ein Beispiel für die Automatisierung eines bisher repetitiven und fehleranfälligen Arbeitsablaufs. Mithilfe einer Kamera mit großem Spezialobjektiv und einer Bilderkennungssoftware sowie Labordatenbanken kann ARGUS die Proben vor der DNA-Extraktion überprüfen. Es sucht nach dem korrekten Vorkommen oder Fehlen von Proben, um so die Datenintegrität zu gewährleisten. Erst kürzlich wurde ARGUS überarbeitet, um Daten mit höherer Genauigkeit zu verarbeiten, wobei Algorithmen für maschinelles Lernen eingesetzt werden und somit der Bedarf an menschlicher Auswertung in diesem Prozess minimiert wird.

„Mit dieser Arbeitsweise können wir genau die benötigte Lösung liefern“, sagt Maschinenbauingenieur Joachim Strauß. „Früher mussten wir externe Anbieter kontaktieren, wenn wir schwer umsetzbare Aufträge hatten. Mit unserem eigenen Team sind wir flexibel und können Projekte wie gewünscht realisieren – und wir sparen dabei auch noch viel Geld.“

Es gibt allerdings große Unterschiede in Bezug auf die Bedürfnisse der verschiedenen Kunden. Als vergleichsweise einfaches Beispiel nennt Sebastian Steiner die „KWS Schere“ – ein speziell für den Cell Service entwickeltes Werkzeug, das Pflanzenproben in einer sterilen Umgebung schneiden, halten und ablegen kann. Anders als bei herkömmlichen Scheren fällt hierbei die Pflanzenprobe nicht herunter. Zudem hat das Team manuelle Werkzeuge zur Probennahme von Blättern und Samen entwickelt.

„Bei der Arbeit mit Pflanzen und lebendem Material gibt es immer Prozesse, die sich einfach nicht automatisieren lassen“, sagt Joachim Strauß. „Doch wo Probleme erkannt werden, können wir helfen, eine Lösung zu entwickeln.“ |

Ansichten

„Neue kreative Lösungen sind gefragt“

Joachim Strauß, Maschinenbauingenieur
„Ich arbeite seit neun Jahren bei KWS und habe die rasante Entwicklung der Laborautomatisierung selbst miterlebt. Von der Probennahme bis zu der Laboranalyse haben wir dabei viele Prozessschritte verbessert und dabei die Prozesse mitgeprägt. Ich kann mich noch an eine meiner ersten Erfindungen für den Bereich Zuckerrübe erinnern – das System ­SeSam (Seedling Sampling) wird noch immer eingesetzt, um im Hochdurchsatz Proben aus Keimlingen zu entnehmen. Als Ingenieur reizt mich bei KWS besonders das interdisziplinäre Arbeiten in biologischen Fragestellungen. Ich kann mit meiner differenzierten Sichtweise bei Themen helfen und gleichzeitig mehr über die biologischen Aspekte der einzelnen Prozesse lernen. In diesem Job gleicht kein Tag dem anderen.“ |

Patrick Henke, Elektroingenieur
„Ich blicke zufrieden auf knapp vier Jahre bei KWS zurück – vor allem, nachdem das Unternehmen für mich als Ingenieur ohne landwirtschaftlichen Hintergrund ursprünglich gar kein naheliegender Karriereweg war. Ich finde es sehr spannend, am Wandel der Laborautomatisierung im Agrarbereich mitzuwirken. Im Gegensatz zu anderen Branchen gibt es hier nur wenige ausgetretene Pfade, sondern neue kreative Lösungen sind gefragt und müssen von uns gefunden werden. Für mich bietet dieser Bereich nahezu endlose Möglichkeiten.“ |


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